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Die Linux-Migration der Stadt München und der Streit um SoftwarepatenteMünchner G'schichtenUlrich Wolf |
Den Softwarepatent-Gegnern ist es gelungen, im Zusammenhang mit dem Linux- Migrationsprojekt der Stadt München ein gewaltiges öffentliches Interesse an ihrem Anliegen zu wecken. Jedoch rückte ihr Vorgehen - zumindest zeitweise - das Migrationsprojekt selbst in ein denkbar schlechtes Licht.
Am 23. Juli 2004 luden Hamid Shefaat (Performix), Rainer Bendel (Zend Technologies) und der Bio-Informatiker Thomas Speth zu einer informellen Veranstaltung ein, auf der es darum gehen sollte, die Zusammenarbeit des Münchner Migrationsprojekts mit der Linux-Community zu diskutiert und zu organisieren. Auch der bündnisgrüne Stadtrat Jens Mühlhaus gehörte zu den Initiatoren dieser Veranstaltung.
Dort gelang es anwesenden Mitgliedern des "Fördervereins für eine freie informationelle Infrastruktur" (FFII) den höchsten EDV-Verantwortlichen der Stadt, Wilhelm Hoegner, für das Thema Softwarepatente zu sensibilisieren. Der Leiter des Amtes für Informations- und Datenverarbeitung war damit einverstanden, dem FFII eine Aufstellung der für den Basis-Client geplanten Software zu übermitteln.
Kurz darauf präsentierten FFII-Mitglieder Ergebnisse einer Kurzrecherche in einer Sammlung von Softwarepatenten. Sie hatte ergeben, dass die geplante Software in Konflikt mit mindesten 50 erteilten europäischen Softwarepatenten steht. In der Studie selbst ist sogar von einigen hundert bis tausend potenziell gefährlichen Patenten die Rede, die vorzugsweise in der Hand ausländischer Konzerne seien.
Darunter befinden sich zu Berühmtheit gelangte "Erfindungen" wie das 1-Klick-Patent von Amazon, das Patent auf hintereinander geschaltete Fenster, die über Reiter zugänglich sind, oder auch das Patent auf die verlustbehaftete Kompression, die im JPEG-Verfahren zum Einsatz kommt. Besonderen Wert legten die Rechercheure offenbar auf von Microsoft eingereichte Patente: Hier sind unter anderem das CIFS/SMB-Protokoll oder patentierte XML-Schemata für Office-Formate vertreten.
Grünen-Stadtrat Jens Mühlhaus brachte daraufhin zwei offizielle Anfragen in den Münchner Stadtrat ein und forderte eine Klärung der Situation. Die Stadtverwaltung setzte deshalb die schon laufenden Verfahren zur Beschaffung der Software aus. Das Medienecho ließ nicht auf sich warten, thematisierte aber fast nur das angebliche Scheitern der Münchner Migration; der Zusammenhang mit Softwarepatenten fand allenfalls am Rande Erwähnung. So titelte beispielsweise die "Süddeutsche Zeitung" vom 4. August: "Umstellung auf Linux: München droht ein Computerchaos".
Die Reaktionen aus dem Open-Source-Umfeld fielen gemischt aus. Der Linux-Verband "Live" beispielsweise fand die Münchner Reaktion einerseits überzogen, begrüßte andererseits aber die Zuspitzung der Debatte und verlangte in einer Presseerklärung eine eindeutige Position von Firmen, die zwar Linux unterstützten, aber gleichzeitig zu den größten Patentsammlern gehören. Gemeint dürfte IBM sein.
Axel Metzger vom "Institut für Rechtsfragen der Open Source Software" (Ifross) nannte die Aussetzung der Ausschreibung und die darauf folgenden Reaktionen ein Eigentor und zweifelte öffentlich die Seriosität der Recherche-Ergebnisse an. Unter anderem habe der FFII selbst einen Einspruch gegen das erwähnte 1-Klick-Patent von Amazon laufen. Auch FFII-Verantwortliche selbst, etwa Hartmut Pilch, distanzierten sich von der Aktion. Das Medienecho provozierte schließlich sogar Reaktionen aus dem Bundesjustizministerium von Brigitte Zypries, die immer noch hinter dem Richtlinienvorschlag des EU-Ministerrats steht.
Das Ministerium fand die Münchner Entscheidung erwartungsgemäß nicht nachvollziehbar. Die offizielle Linie des Ministeriums ist es immer noch, dass die derzeitige Fassung der Richtlinie Open Source nicht behindere.
Nachdem auch noch die Münchner CSU einen Eilantrag im Stadtrat einbrachte, in dem sie unter anderem fragte, seit wann die Münchner SPD von den Vorgängen in Brüssel gewusst habe, wurde das Projekt "Limux" endgültig zur Chefsache.
Münchens Oberbürgermeister Ude sah sich gezwungen, am 11. August eine Pressekonferenz zu diesem Thema zu geben, und trat die Flucht nach vorn an. Er machte sich dort weitgehend die Position der Softwarepatent-Gegner zu eigen und verlangte zügige Klärung auf europäischer Ebene. "Wir leugnen Unsicherheiten nicht, sondern räumen sie ein", erklärte OB Ude, "es muss endlich klar sein, wie diese nebulösen europäischen Texte zu deuten sind."
Um das Projekt Limux auf jeden Fall weiter voranzutreiben, hat die Stadt mehrere Schritte eingeleitet. Das Gesamtverfahren für die Ausschreibung des Clients ist zwar ausgesetzt, das Bieterverfahren läuft aber abgekoppelt davon weiter, ebenso das Verfahren zur Personalbeschaffung. Die Stadt München sucht jetzt mit öffentlichen Stellenausschreibungen nach Linux-Experten (siehe Abbildung 2).
Außerdem hat München ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, das die geplante EU-Patentgesetzgebung untersuchen soll. Insbesondere wird der Beschluss des Ministerrats mit dem Beschluss des Europäischen Parlaments verglichen. "Am besten wäre nach unserer Auffassung die Rückkehr zur Parlamentsversion", so Ude, der in der vom Parlament vorgeschlagenen Version keine Gefahr für das Linux-Projekt sieht. "Die Regierungen wären gut beraten, auf den Willen des Parlaments zu hören." Das Projekt werde wie gehabt fortgesetzt, sollte das Gutachten zu dem Befund kommt, dass auch der Beschluss des Ministerrates keine Gefährdung von Open Source bedeutet.
Ude ließ jedoch kaum Zweifel daran, dass er diese Meinung nicht teilt: "Ich halte persönlich die Einschätzung, dass sich durch den Ministerratsbeschluss nichts ändert, für naiv." Das ergebe sich schon aus einem bloßen Vergleich der Formulierungen von Parlament und Ministerrat.
Für die Stadt München sei es jetzt entscheidend, in den nächsten Wochen rechtliche Gewissheit zu erreichen. Sollte das Gutachten zu dem Schluss kommen, das Projekt sei gefährdet, werde man auf jeden Fall politisch auf allen Ebenen aktiv werden. "Wir werden uns an alle wenden, die damit befasst sind", sagte der Oberbürgermeister, "an das EU-Parlament, seine Fraktionen, den Bundestag, das Bundesinnenministerium, das Bundesjustizministerium, andere Kommunen."
Das Beispiel des niederländischen Parlaments, das die Regierung zur Rücknahme der Zustimmung zu Softwarepatenten aufgefordert habe, zeige dabei, dass es breite Unterstützung gebe. "Wir sind keine allein stehenden Hysteriker", meint Ude. Die Regierungen seien gut beraten, auf den Willen des EU-Parlamentes zu hören und eine weitgehende Patentierbarkeit von Software nicht zuzulassen. Im Oktober wird das EU-Parlament in zweiter Lesung erneut über den Richtlinienentwurf zur Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen" abstimmen.
Kommentar: Sommertheater vom Feinsten |
Eitel Dignatz, Unternehmensberater und Inhaber von Dignatz Consulting, München. [www.dignatz.de/spot445]Die Frage, ob Softwarepatente den Pinguin aus München vertreiben können, erregte im August schlagartig die Gemüter. Gerade so, als seien Softwarepatente bis dato unbekannt gewesen und in einer lauen Sommernacht völlig überraschend vom weißblauen Himmel gefallen. Die lawinenartig hereinbrechenden Presseberichte taten sich mit der Durchdringung des Themenkreises "Softwarepatente" wie üblich recht schwer und so manches Mal war es wie damals beim Schulaufsatz: flott geschrieben, nett geschildert - und haarscharf am Thema vorbei. Inhaltliche Kernpunkte gingen völlig unter - Kriegsberichterstattung eben.
Aufgescheuchte PolitikerDie Beteiligten im politischen Umfeld wirkten fast durchweg wie aufgescheuchte Hühner, doch letztlich profitierte jede Seite: Linux-Gegner rieben sich die Hände, denn Teile des Projekts wurden ja tatsächlich auf Eis gelegt. Den Befürwortern hingegen bot sich ein Anlass, mit der Faust auf den Tisch zu schlagen und Forderungen in Richtung Berlin zu stellen, was die Umsetzung der Patentrichtlinie in nationales Recht betrifft. Nur Justizministerin Zypries passte es wohl weniger, als Anlaufstelle für jene Journalisten herzuhalten, die auf Dauer eben doch nicht mit netten Unverbindlichkeiten abzuspeisen waren. Was im Getümmel völlig unterging: Softwarepatente sind eine Bedrohung für jede Branche, ob sie nun Software produziert oder nicht. Amazons Klage gegen den Konkurrenten Barnes&Nobles spricht Bände, denn B&N ist einfach nur Buchhändler und hat mit Software-Erstellung wirklich nichts am Hut. So gesehen ist das Patentproblem nicht nur für Linux und Open Source real, sondern stellt sich jedem Hersteller proprietärer Software, jedem Buchhändler oder Würstchenverkäufer, wenn der Pech hat. Die Anbieter proprietärer Software dürften bei Softwarepatent-Streitigkeiten sogar die deutlich schlechteren Karten haben. Wegen der enormen Modularität von Linux ist es im Regelfall möglich, eine von einem Rechtsstreit betroffene Komponente gegen eine andere auszutauschen, bei nahezu gleicher Kernfunktionalität.
Starke AllianzenDann wären noch die Machtverhältnisse. Wer patentrechtlich gegen irgendjemanden in Sachen Linux zu Felde zieht, legt sich im Handumdrehen fast zwangsläufig mit IBM an, denn deren wirtschaftliches Interesse an Linux und Open Source ist ganz beträchtlich. Selbst bei den übrigen Herstellern würde ein Angreifer, der gemeinsame Interessen vieler berührt, in Sachen Allianzenbildung wieder mal Wunder wirken, wie die Unix-Geschichte lehrt: Weil sich im Jahre 1987 eine Reihe von Unix-Anbietern von AT&T und Sun überfahren fühlte, schlossen sich die Rebellen zur Hamilton Group zusammen, aus der dann später die OSF wurde. Softwarepatente sind kein spezielles Linux-Problem, obwohl Open Source fraglos spezifische Angriffspunkte besitzt. Doch im Münchner Fall dürfte Linux gegenüber proprietärer Software sogar im Vorteil sein. Open Source verringert hier nicht die Handlungsspielräume der Stadt, sondern erhöht sie. |