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Abfall vom Glauben? |
Der bis ins Hochmittelalter bedeutendste abendländische Mönchsorden, die Benediktiner, geht auf Benedikt von Nursia (um 480 bis 547) zurück, der 529 im Kloster bei Montecassino die Regula Benedicti aufstellte. Seine Regeln verlangen von den Mönchen Gehorsam, Schweigsamkeit, Beständigkeit und Demut.
Mit dieser beschaulichen Haltung war es spätestens 1098 vorbei, als eine Gruppe von Benediktinermönchen unter der Leitung Robert von Molesmes im französischen C”teaux (lat. Cistercium) die Nase von ihren Mitbrüdern und deren nicht immer eingehaltener Lehre voll hatte und den Zisterzienserorden gründete. Die Regeln dieses Reform-Ordens befürworteten strenge Askese und Handarbeit, Einnahmen aus Verpachtungen lehnten sie konsequent ab.
In der Folge verlor der Benediktinerorden im 13. Jahrhundert seine bedeutende Stellung in Westeuropa an neu entstandene Bettelorden wie Franziskaner, Dominikaner, Karmeliten und Kapuziner. Aus Sicht der damaligen Benediktiner war sicherlich das Gabeln beziehungsweise Abzweigen (engl. fork) ein bedauernswerter Fehler der Zisterzienser-Gründer, der die ganze römisch-katholische Kirche schwächte.
Im Einzelfall vielleicht, im Regelfall jedoch nicht! Denn solche Forks passieren nur, wenn für einen namhaften Teil einer Gemeinschaft der entwicklungstypische Reformdruck so groß wird, dass ein Bleiben das ganze Projekt zum Erlahmen oder gar Zerbersten brächte. Paradox: Die Spaltung erhält das Projekt, statt es zu zerstören. Und da die Spalter ja weiterhin an anderer Stelle das Werk Gottes tun, ist der Glaubenssache unterm Strich sogar gedient. Dass es die katholische Kirche bis zum heutigen Tage gibt, ist beredter Beweis für diese These.
Mit diesem Weitblick könnten und sollten wir auch die Abspaltungsereignisse in den Software-Communities bewerten. Wenn große Teile der XFree-Mannschaft im Streit zu X.org abwandern oder OpenSSH aus SSH forkt, sind Trauer und Angst um die verlorene Stärke unangebracht. Vielmehr sind solche Auseinandersetzungen das tosende Geräusch einer kräftigen Meereswelle. Und wenn in diesen Tagen der in Deutschland ansässige Gnome-Entwickler Ali Akcaagac mit der Gründung des Reformprojekts GoneME droht, ist das - egal wie die Sache ausgeht - für die freien Desktop-Umgebungen dieser Welt eher gut als schlecht.
Klassische Moral im Sinne von "Haltet die Reihen fest geschlossen" oder "Welche Undankbarkeit!" oder gar "Was hast du mit meinem Code vor!?" ist definitiv unangebracht. Ein besonderes Happy End lieferte der einstige Fork vom GNU C-Compiler zum EGCS: Die Wege beider Projekte vereinigten sich zur heutigen GNU Compiler Collection - davon sind Benediktiner und Zisterzienser wahrscheinlich noch mehrere tausend Jahre entfernt.