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Die monatliche GNU-Kolumne

Brave GNU World

Georg C.F. Greve

Diese Kolumne berichtet aus der Perspektive des GNU-Projekts und der FSF über Projekte und aktuelle Geschehnisse aus dem Umfeld freier Software. In dieser Ausgabe: Südamerika - politische Perspektiven, Telecentros, Brasilien als Lehrmeister, Terminologie-Diskussion.

Die Gesellschaft in Südamerika scheint sich der Freiheit und der Hintergründe freier Software deutlich bewusster zu sein als wir Europäer. Sie drückt dies auch in ihrer Sprachwahl aus, so prägen "Software Libre" (Spanisch) und "Software Livre" (Portugiesisch) den Sprachgebrauch - der Begriff Open Source kommt so gut wie gar nicht vor.

Politische Perspektiven

Drei Wochen lang war ich auf Tour durch Südamerika[5], um mir einen Eindruck über die Freie-Software-Community vor Ort zu verschaffen und um die Erfahrungen mit der FSF Europe für die Planung einer FSF Lateinamerika nutzbar zu machen. Stationen waren Argentinien, Uruguay und Brasilien.

Ob die Offenheit gegenüber freier Software auf den politischen Alltag zurückzuführen ist, lässt sich nur schwer einschätzen. Auffällig ist, dass die Politiker in Lateinamerika sich, unabhängig von technischen Vorteilen, vor allem Standortvorteile von freier Software versprechen, sowohl für die Wirtschaft als auch für politische Stärke.

In der Hauptstadt Brasilia hatte ich Gelegenheit zu einem Gespräch mit dem Executive Secretary des brasilianischen MinistŽrio de Comunica›es (Kommunikationsministerium). Er betonte, dass selbst die Sicherheit eher eine Nebenrolle bei der Entscheidung für freie Software spiele. Für ihn sind nachhaltiger Aufbau der Volkswirtschaft, Verbreitung von Wissen und digitale Chancengleichheit viel wichtiger.

Eine ähnliche positive Einstellung bot sich mir auch bei Vorträgen in Cordoba und in La Plata, Argentinien, sowie im Nationalkongress von Uruguay in Montevideo. Die Anlässe all dieser Vorträge waren Gesetzentwürfe zur Stärkung eines Marktes für freie Software. In Brasilien nehmen sogar Regierungspolitiker aktiv an der Community teil.

Das Instituto Nacional de Tecnologia da Informa‹o (nationales IT-Institut, ITI), eine direkt dem Präsidenten unterstellte Einrichtung, setzt freie Software auf allen Desktops ein. Die Mitarbeiter stammen teilweise sogar aus der Community. So auch der Direktor des ITI, Sergio Amadeu da Silveira, ein regelmäßiger Gast auf allen Veranstaltungen zum Thema freie Software.

Computerkurse in Telecentros

Eins der beeindruckendsten Vorhaben hat zurzeit das Kommunikationsministerium vorzuweisen. Im Rahmen eines nationalen Projekts betreut es so genannte Telecentros. Brasilien plant etwa 300000 dieser Zentren innerhalb der nächsten Jahre einzurichten.

Telecentros sind Gemeinschaftseinrichtungen vor allem in ärmeren Teilen der Städte Brasiliens. Sie sollen es den Bürgern ermöglichen, sich am digitalen Leben zu beteiligen und den Zugang zu Wissen auch denen bieten, die sich keinen Computer leisten können. Über den einfachen Internetzugang hinaus bieten Telecentros auch Computerkurse an. Generell besteht ein Telecentro aus 10 bis 20 Computern mit Breitbandanschluss ans Internet sowie einer Bibliothek. Grundsätzlich sind jedoch keine zwei Zentren identisch.

Die größte Ansammlung von Telecentros befindet sich in S‹o Paulo. Das Projekt begann ursprünglich mit proprietärer Software. Da es aber schwierig ist, ein Projekt, dass Wissen für alle zugänglich machen soll, mit geschlossener Software anzugehen, setzten die Betreiber mehr und mehr freie Software ein. Ein weiterer Vorteil sind die Kosten: Das Budget, mit dem sich 100 Telecentros mit freier Software errichten ließen, würde bei der Verwendung proprietärer Software nur für 20 Einrichtungen reichen.

Wie Federico Souza da Camara, IT-Koordinator der Telecentros in S‹o Paulo[6], erzählt, kam es während der Umstellung zu durchaus komischen Situationen. Die Besucher erhielten bereits Einführungen in freie Software, als einige Verantwortliche noch dabei waren, ihre Computer auf GNU/Linux umzustellen.

Das führte zu einer regelrechten Wanderbewegung der Benutzer zu den bereits auf freie Software umgestellten Telecentros. Daraufhin riefen einige Manager von noch nicht umgestellten Zentren bei Federico an, weil sie sich wunderten, dass ihnen die Kunden davonliefen. Mittlerweile nutzen alle Telecentros in Sao Paulo vollständig freie Software, wobei Flash und Java die einzigen Problemfälle darstellen.

Abbildung 1: Die brasilianische Regierung ist schwer damit beschäftigt, Telecentros wie dieses im ganzen Land aufzubauen. Dort sollen Menschen den Umgang mit Computern und dem Internet lernen.

Das Konzept

Ein wichtiger Grundgedanke der Telecentros ist, dass die Menschen vor Ort sie verwalten. Dabei haben die jeweiligen Betreiber sehr viel Spielraum, was die Einrichtung und die Art und Menge der Veranstaltungen angeht. Ein Telecentro im Nordosten von S‹o Paulo bietet neben den üblichen Computerkursen auch Spanisch- und Poesiekurse an. Eine Pinnwand mit Gedichten zeugt vom Erfolg der Kurse. Auch Capoeira-Unterricht durch die örtlichen Wachmänner stand auf dem Plan. Viele Menschen haben durch die Kurse erstmals die Möglichkeit, sich über die Welt außerhalb ihrer engeren Umgebung zu informieren und sich frei zu artikulieren.

Obwohl nicht alle Telecentros über Wachpersonal verfügen, wurden innerhalb von drei Jahren nur fünf Zentren ausgeraubt, drei von ihnen noch vor der Eröffnung. Und das in einer Stadt, in der viele Menschen aufgrund von Armut selbst ihre Grundbedürfnisse nicht oder nur unzureichend befriedigen können und die Computer in den zahlreichen Telecentros sicherlich ein kleines Vermögen bedeuten.

Von Brasilien lernen

Die Telecentros genießen den Schutz der Gemeinschaft, weil sie ein Teil davon sind. Auch aus diesem Grund greift die Regierung auf Leute aus der Umgebung zurück, die die Zentren leiten. Die Auswirkungen der Telecentros gehen dabei weit über das hinaus, was zunächst offensichtlich scheint.

So bieten sie natürlich die Möglichkeit, sich Computerfertigkeiten anzueignen. Die Erfahrung zeigt sogar, dass die unter GNU/Linux erworbenen Fähigkeiten auch problemlos auf Windows übertragbar sind. Umgekehrt scheint das schwerer zu sein, schließlich dienen die Probleme beim Umstieg von Windows auf Linux oft sogar als Argumente gegen den Umstieg auf freie Software.

Telecentros und freie Software bilden eine Art sozialen Klebstoff für den Aufbau von Gemeinschaft und Gemeingefühl. Ein Beispiel aus der Praxis wurde auf dem fünften Free Software Forum in Porto Alegre vorgestellt: In einer für Bandenkriege und Gewaltverbrechen berüchtigten Ecke im östlichen S‹o Paulo ging nach der Einrichtung der Telecentros die Kriminalität deutlich zurück. Insgesamt erfahren die Zentren einen ungeheuren Zuspruch. Das von mir besuchte war noch recht neu, dennoch hatten sich in dem etwa halben Jahr seines Bestehens bereits 3500 Menschen für die Nutzung eingetragen.

Gemeinschaft, die Ermächtigung zur Selbsthilfe und die Eröffnung von Chancen - dies alles sind Wesensmerkmale, die freie Software und Telecentros verbinden. Es handelt sich um eine geradezu perfekte Kombination. Die Arbeit an freier Software ist oft abstrakt; meine persönliche Arbeit bei der FSF Europe stufen selbst Entwickler oft als abstrakt ein. Ich wünschte, alle Entwickler freier Software würden vor Ort sehen, wie unsere gemeinsame Arbeit dazu beiträgt, das tägliche Leben von Menschen positiv zu verändern. So manches Industrieland könnte vom Telecentro-Projekt lernen, denn auch bei ihnen gibt es soziale Probleme und sind die Chancen nicht so gleich verteilt, wie sie sein sollten.

Abbildung 2: Homepage des Telecentro-Projekts von S‹o Paulo. Fast alle Telecentros sind mit GNU/Linux ausgestattet, was die Kosten reduziert und besser mit dem Gedanken des freien Zugangs zu Wissen vereinbar ist als proprietäre Software.

Ärger mit den Begriffen

Nach diesem Bericht über die praktischen Auswirkungen freier Software geht es nun etwas mehr in die Theorie. Bereits in der letzten Ausgabe habe ich versucht, am Beispiel der Änderung des Debian-Gesellschaftsvertrags zu zeigen, wie sich hinter scheinbar müßigen Terminologiediskussionen oft viel mehr verbirgt. Dieses Thema will ich an dieser Stelle fortführen.

Wer käme auf die Idee, im Obstladen nach einer(m) "APA - Apfel, Pomme, Apple" zu fragen, um die Attribute "inklusiv" und "nett" für sich in Anspruch nehmen zu können? Die meisten hielten einen wohl eher für etwas meschugge. In der Freien-Software-Gemeinschaft gibt es Leute, die von "freier und Open-Source-Software" (FOSS) oder auch "freier/libre und Open-Source-Software" (FLOSS) sprechen. Abgesehen davon, dass das zweite Akronym bei englischsprachigen Menschen Befremden auslösen könnte (Floss bedeutet im Englischen Zahnseide), sind die Begriffe ähnlich sinnvoll wie das APA-Beispiel.

Freie Software definiert sich über die vier Freiheiten der unbegrenzten Benutzung zu jedem Zweck: des Studiums, der Modifikation und der Weitergabe[7]. Der Begriff bezieht sich niemals auf den Preis - was in vielen Sprachen eindeutig ist, im Englischen aber beispielsweise nicht. Die Ursprünge dieser Definition hat die Free Software Foundation in den GNU's Bulletins 1989 zum ersten Mal veröffentlicht. Seitdem hat sie sich zur akzeptierten Definition bis in Organisationen wie die UNESCO verbreitet.

Open Source

Im Jahre 1998 hatten ein paar Leute im Silicon Valley die Idee, den Dotcom-Boom auch auf freie Software auszuweiten. Doch es schien, dass Venture-Kapitalisten für die Freiheit des Marktes nicht besonders viel übrig hatten. Daher war bald der Marketingbegriff Open Source für freie Software geboren. Diese Software sollte sich ausschließlich über technische Aspekte definieren und sich nicht um gesellschaftliche, politische und philosophische Überlegungen kümmern. Ein Sun-Mitarbeiter formulierte es kürzlich kategorisch so: "Open-Source-Philosophie ist ein Oxymoron. Open Source definiert sich darüber, keine Philosophie zu haben."

Die Open-Source-Väter nahmen die Debian Free Software Guidelines (DFSG) als Grundlage für ihre Open-Source-Definition. Die Definition freier Software des GNU-Projekts aus dem Jahre 1989, die DFSG sowie die Open-Source-Definition beschreiben im Wesentlichen dieselbe Gruppe an Lizenzen.

Der Begriff "Libre Software" hat hingegen seinen Ursprung in Europa, genauer in der Europäischen Kommission, die die Ungenauigkeit des englischen "Free Software" zu umgehen suchte. Sie schuf daher einen Kunstbegriff, den sie aus dem französischen "Logiciels Libre" (Logiciel bedeutet Software) und dem englischen "Free Software" zusammensetzte.

Abbildung 3: Die Open-Source-Initiative hat es sich zur Aufgabe gemacht, freie Software durch den Begriff Open Source attraktiver für den Markt zu machen. Die Begriffsvielfalt führt allerdings meist zu Verwirrung.

Falsche Terminologie

Die drei Begriffe freie Software, Libre Software und Open Source sind hinsichtlich der Software, auf die sie sich beziehen, im Wesentlichen gleich. Wer von FLOSS oder FOSS spricht, kann ebensogut im Supermarkt APAs kaufen. Jedoch ist zu beobachten, dass sich die Open-Source-Definition zu einer der gebräuchlichsten Referenzen für den Open-Source-Begriff etabliert. Immer häufiger wird auch die Freie-Software-Definition angeführt. Aber abgesehen von diesen beiden originalen Verwendungen nutzen Firmen die Begriffe zunehmend für proprietäre Software, bei der Teile des Sourcecodes unter bestimmten Bedingungen einsehbar sind. Mit Freiheit hat das nichts mehr zu tun.

Mittlerweile begegnen Anwendern sogar Sätze, in denen der Begriff Open Source in zwei sich widersprechenden Bedeutungen Verwendung findet. Da redundante Begriffe wie FOSS und FLOSS keinen Sinn machen, versuchen viele, sich Erklärungen für deren Existenz zurechtzulegen. Die Idee, freie Software beziehe sich dabei nur auf die GNU General Public License (GPL), ist ein beliebter Mythos. In einigen Vorträgen nutzen Referenten den Begriff FLOSS auch als "freie Linux-Open-Source-Software". Das Resultat ist lediglich eine große Verwirrung. Die Verwirrung nützt vor allem den Produzenten proprietärer Software, da sie sich mit Herstellern freier Software auf eine Stufe stellen, die ihr Alleinstellungsmerkmal nun nicht mehr kommunizieren können.

Hinzu kommt, dass der Begriff Open Source mittlerweile als Synonym für kostenlos gilt, was der ursprünglichen Intention entgegensteht und den freien Software-Entwicklern schadet. Die anscheinend reine Terminologiediskussion ist also deutlich mehr als das. Sie ist der Versuch, freie Software als Konzept stark und als kommerzielles Alleinstellungsmerkmal kommunizierbar zu halten, um freien Softwarefirmen eine faire Behandlung am Markt zu sichern.

Zum Ende dieser Brave GNU World bitte ich wie immer um Anregungen, Fragen und Kommentare an die übliche E-Mail-Adresse[1]. (mwe)

Infos

[1] Ideen, Anregungen, Kommentare an die Brave GNU World: [column@brave-gnu-world.org]

[2] Homepage des GNU-Projekts: [http://www.gnu.org/]

[3] Homepage von Georgs Brave GNU World: [http://brave-gnu-world.org]

[4] "We run GNU" Initiative: [http://www.gnu.org/brave-gnu-world/rungnu/rungnu.de.html]

[5] Georg Greve in Südamerika: [http://www.germany.fsfeurope.org/events/2004/FISL/]

[6] Telecentro S‹o Paulo: [http://www.telecentros.sp.gov.br]

[7] Freie Software Definition: [http://www.gnu.org/philosophy/free-sw.de.html]

Der Autor

Dipl.-Phys. Georg C. F. Greve beschäftigt sich seit etlichen Jahren mit freier Software und kam früh zu GNU/Linux. Nach Mitarbeit im GNU-Projekt und seiner Aktivität als dessen europäischer Sprecher hat er die Free Software Foundation Europe initiiert, deren Präsident er ist. Mehr Informationen finden sich unter: [http://www.gnuhh.org]