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Novells Linux-Strategie auf der Hausmesse Brainshare

Frischer Wind aus Deutschland

Ulrich Wolf

Seit zwanzig Jahren zeigt die Hausmesse Brainshare in Salt Lake City, wohin die Reise in der Novell-Welt geht. Nach dem Kauf von Suse zeigt der Kompass eindeutig in Richtung Linux. Die meisten Mitarbeiter und Beobachter sahen es mit Befriedigung.

Abbildungen 1 bis 3: Rote Novell-Fahnen dominieren das Kongresszentrum (links). Ein gut gefüllter Saal bei der Keynote Session mit durch das allgegenwärtige WLAN etwas abgelenkten Zuschauern (Mitte). Die in den Gängen aufgestellten PCs liefen mit Linux und dem Ximian-Desktop (rechts).

Vom 22. bis 26. März 2004 sah Salt Lake City rot. Das riesige Kongresszentrum im Herzen der Downtown war derart mit roten Novell-Fahnen ausstaffiert, dass es gut und gern der Austragungsort eines kommunistischen Parteitags hätte sein könnte. Aber auch das grüne Suse-Chamäleon war als neuer Hoffnungsträger allgegenwärtig.

Nach Angaben des Veranstalters kamen insgesamt 6000 Teilnehmer in die Mormonen-Hauptstadt, deutlich mehr als im Vorjahr. Gut die Hälfte davon dürfte bei der Eröffnungs-Keynote im Saal gewesen sein, bei der CEO Jack Messman nicht mit markigen Worten geizte. Originalton: "Diese Brainshare benutzt kein stinkendes Windows."

Die komplette Infrastruktur der Messe selbst wurde auf Linux realisiert, inklusive der Hunderte von PCs, die den Teilnehmern zum Surfen und Arbeiten im Kongresszentrum zur Verfügung standen, und der Präsentations-Laptops der Manager, die Open Office statt Powerpoint nutzten. Nur im Presseraum überlebten ein paar Windows-PCs.

Außer mit Rhetorik konnte Messman jedoch auch mit überraschenden Ankündigungen aufwarten: Bis Ende des Jahres soll das Unternehmen intern komplett auf Linux umgestellt sein, inklusive der Desktops. Version 7 von Netware erscheint ein Jahr früher als geplant und wird mit dem Suse Linux Enterprise Server zum Netware Enterprise Server zusammengeführt. Kunden können dann wahlweise den Novell-Kern oder Linux einsetzen. Den SLES (Suse Linux Enterprise Server) wird es weiterhin als eigenständiges Produkt geben.

Als Kronzeugen für die Ernsthaftigkeit des Linux-Engagements konnte Novell Linus Torvalds gewinnen, der als Überraschungsgast während der Keynote die Bühne betrat. Er nutzte die Gelegenheit, um nach einigen lobenden Worten zu Novells Linux-Strategie auf das hinzuweisen, was er als größte Bedrohung für Linux und freie Software sieht, nämlich Softwarepatente.

Abbildung 4: Linus Torvalds (Mitte) während der Keynote Session im Gespräch mit Novell-CEO Jack Messman (rechts) und Chris Stone, dem Chefstrategen des Konzerns.

Doppelstrategie Netware und Linux

Novells Strategie geht dahin, auf der Server-Seite die Unterschiede zwischen den Betriebssystemen verschwimmen zu lassen und alten Netware-Kunden die Möglichkeit einer Migration auf Linux zu geben, ohne dies - vorerst - zu forcieren. Aber auch der Desktop ist in den Fokus gerückt, gemäß der Zielvorgabe, Novell als Anbieter von kompletten Infrastrukturlösungen für das gesamte Unternehmen auszubauen.

Zentrale Bedeutung hat dabei der Verzeichnisdienst E-Directory, um ihn herum gruppiert sich eine ganze Schar von Anwendungen zum System- und Softwaremanagement (Zenworks-Produktfamilie), Identitätsmanagement (NSure) und Web-Entwicklungstools (Extend). Das einstige Flaggschiff Novell Netware als Netzwerkbetriebssystem rückt dabei mehr und mehr in den Hintergrund. Linux ist also die logische Konsequenz.

Akzeptanz bei Mitarbeitern

Die Mitarbeiter und Partner von Novell scheinen diese Entscheidungen mitzutragen. Einige Kenner der Brainshare sprachen von einem zurückgekehrten Optimismus auf der Hausmesse. Optimismus ist aber auch nötig, denn die nackten Zahlen sind bei Novell alles andere als berauschend. Seit drei Jahren schreibt das Unternehmen Verluste, der Umsatz stagniert seit 1999. Und das, obwohl Novell seit Jahren permanent Unternehmen zukauft (siehe Abbildung 5 und Tabelle 1).

Abbildung 5: Umsatz und Gewinn von Novell in den letzten fünf Jahren. Trotz ständiger Firmenzukäufe stagniert der Umsatz. In den letzten drei Jahren schrieb der Konzern kräftige Verluste.

Tabelle 1: Novells Akquisitionen
FirmaJahrProdukteKaufpreis
Ukiah1999Netzwerkmanagementk.A.
Netoria1999Verzeichnisdienstek.A.
PGSoft2000Netzwerksoftwarek.A.
JustOn2000Filesharingk.A.
Callisto2001Software für mobile Gerätek.A.
Novetrix2001Verzeichnisdienstek.A.
Ariadne Consulting2001Consultingk.A.
Cambridge Technologie Partners2001Consulting266 Mio US-Dollar
Silverstream2002Webservices212 Mio US-Dollar
Ximian2003Linux/Open Sourcek.A.
Suse2004Linux210 Mio US-Dollar

Linux bringt den Optimismus zurück

Wenn traditionelle IT-Konzerne ihre Strategie auf Linux ausrichten, bringt das erfahrungsgemäß einige Verunsicherungen bei den Mitarbeitern mit sich. Allerdings sind diesmal die Karten klar verteilt. Novell hat das Sagen und kann mit dem Linux-Pfund wuchern, ohne die eigene Organisation übermäßig zu erschrecken. Suse fügt sich - bisher wenigstens - klaglos, das Topmanagement wurde durch die Berufung Richard Seibts zu Novells Europa-Chef ruhig gestellt, Suse-Mitarbeiter durch die Fortführung der Consumer-Produkte hinreichend beschäftigt.

Dieser Zweig soll zumindest in Europa aggressiv ausgebaut werden. Mit einer Produktoffensive in Frankreich wollen die Deutschen den Desktop-Konkurrenten Mandrake im Auswärtsspiel schlagen, auch in England will Suse die eigene Präsenz wieder verstärken. Allerdings sieht das Topmanagement im Geschäft mit den Boxen vor allem ein Marketing-Instrument für den Verkauf der margenträchtigeren Enterprise-Server und Desktops, so jedenfalls die Aussage von Richard Seibt.

Obwohl - oder gerade weil - beim Verkauf von Suse an Novell im Hintergrund IBM als Drahtzieher wirkte, war Novell bemüht auch Hewlett-Packard als Partner mit ins Boot zu holen. HPs Linux-Stratege Martin Fink kündigte auf der Brainshare an, künftig eine ganze Reihe von Compaq-Desktop-PCs mit vorinstalliertem Suse Linux auszuliefern.

Das aus Linux-Sicht größte Konfliktpotenzial besteht nach wie vor zwischen den Ximian-Leuten und der eher KDE-orientierten Suse. Auf der Brainshare demonstrierten beide Seiten eher Harmonie. Laut Suse-Vicepresident für Entwicklung und KDE-Mann Chris Schläger sollen derzeit beide Desktop-Varianten mit gleicher Wertigkeit unterstützt werden, künftig solle es aber eine Konsolidierung geben. In welche Richtung, dazu machte er keine Aussage.

Einer der entscheidenden Vorteile von KDE, seine enorme Verbreitung im Linux-freundlichen Europa, könnte gleichzeitig in Form eines "Not invented here"-Syndroms als größtes Handicap zurückschlagen, was spürbare Folgen für die KDE-Entwicklung hätte.

Marke Ximian verschwindet langsam

Von der Marke Ximian dürfte in naher Zukunft kaum etwas übrig bleiben. Red Carpet ist ohnehin dazu geeignet, komplett in das bisherige Portfolio der Novell-Netzwerklösungen integriert zu werden, und genau das geschieht auch gerade. Ein noch besseres Beispiel ist das mit einigem Pomp vorgestellte I-Folder, auch von Ximian entwickelt, aber ausschließlich unter dem Novell-Label vermarktet.

I-Folder ist im Prinzip ein Filesharing-System, das in erster Linie ein Problem lösen soll, das wohl jeder hat, der im Büro, zu Hause und unterwegs Dateien bearbeitet: I-Folder soll es dem Nutzer erleichtern, diese Dateien immer synchron zu halten, und so mit fehleranfälligem Versionschaos Schluss machen. Auch die Zusammenarbeit mehrerer Nutzer an einem Projekt ist mit I-Folder möglich. Wer einen I-Folder anlegt, kann an weitere Nutzer Einladungen per E-Mail schicken. Durch Klick auf einen Link können diese ihren Zugriff aktivieren und die im I-Folder abgelegten Files gemeinsam bearbeiten.

I-Folder ist die erste produktionsreife Anwendung, die Ximian-Entwickler mit dem Mono-Framework erstellt haben. Die Clients für Linux und Windows stehen unter der GPL. Auf [forge.novell.com] sind außer den Quellen auch RPM-Pakete als Snapshots verfügbar, sie setzen aber ein installiertes Mono und die GTK-Sharp-Bibliothek voraus. I-Folder ist für ein so junges Open-Source-Projekt bereits ungewöhnlich gut dokumentiert. Novell verkauft I-Folder als separates Produkt mit Einzelplatzlizenzen für 43 US-Dollar. Eine Server-basierte Variante für den zentralisierten, unternehmensweiten Einsatz soll folgen. Der Server ist jedoch nicht Open Source.

Bei den Suse-Produkten gibt es, abgesehen von der spektakulären Ankündigung, das Installations- und Administrationswerkzeug Yast unter die GPL zu stellen und auch technisch auszubauen, wenig Revolutionäres. Der Release- Zyklus für den Suse Linux Enterprise Server bleibt bei ungefähr 18 Monaten, die nächste Version, die SLES 9, wird erstmals updatefähig sein.

Mit dem Yast haben die Suse-Techniker hingegen Großes vor. Über eine Schnittstelle sollen Installationsprogramme von Anwendungssoftware an das Programm andocken können, sodass deren Installation nahtlos in das Betriebssystem integriert wird. Dazu stellt Suse Perl- und C-Bibliotheken bereit. Die erste auf diesem Weg installierbare Software steht schon zur Verfügung, es ist - wie könnte es angesichts der engen Verbindung von IBM und Suse anders sein - IBMs Datenbanksystem DB 2.

Bei der Konkurrenz von Oracle ist eine Komplettinstallation unter der Regie von Yast derzeit nicht möglich, hier übernimmt er nur die vorbereitenden Arbeiten und übergibt dann alles Weitere an den Oracle-Installer. Zur Zusammenarbeit mit System- und Softwaremanagement-Programmen auf höherer Ebene soll Yast nach Aussage von Suse-CTO Jürgen Geck darüber hinaus CIM-fähig werden. Das Common Information Model (CIM) der Distributed Management Taskforce (DMTF) definiert einen Standard für den Austausch von Informationen, die für das Systemmanagement wichtig sind, und ist damit ungefähr vergleichbar mit dem weiter verbreiteten SNMP-Standard.

Yast als neuer Standard unter GPL

Hinter der DMTF stehen die Interessen der meisten führenden IT-Konzerne wie IBM, Microsoft, Cisco, HP, EMC oder Sun. Mit all diesen Maßnahmen hofft Suse, dass Yast sich zum Standardwerkzeug in der Linux-Welt entwickelt. Die Freigabe unter der GPL war somit konsequent. Sie betrifft übrigens nur Yast 2. Die Quellen des von vielen wegen seiner vergleichsweise schlanken Architektur immer noch geschätzten Yast 1 sind von der Lizenzänderung nicht betroffen, um eine Fragmentierung schon im Ansatz zu vermeiden.

Interview mit Novell-Chef Jack Messman

Linux-Magazin: Was sehen Sie als die größten Hindernisse bei der Verbreitung von Linux in den nächsten Jahren an?

Jack Messman: Ich glaube, dass die Copyright-Probleme ein Hindernis sind, aber wir haben bereits Schritte dagegen eingeleitet. Unser Haftungsfreistellungs-Programm unterscheidet uns beispielsweise von Red Hat. Wir sind in einer einzigartigen Situation. Als wir Unix an SCO verkauften, behielten wir das Eigentum am Copyright sowie die Patente, wir und unsere Kunden haben die Lizenz, Unix zu nutzen. Wenn also Unix-Code in Linux ist, was weder wir noch Linus glauben, haben wir trotzdem das Recht, es zu verwenden, denn wir haben eine Lizenz. Das schützt uns und unsere Kunden, im Gegensatz zu der Situation bei Red Hat.

Linux-Magazin: Gerichtsentscheidungen sind oft unvorhersehbar. Wenn also ein Gericht entscheiden würde, dass Unix-Code in Linux ist, wäre Novell das einzige Unternehmen in der Welt, das Linux anbieten dürfte?

Jack Messman: Ja, denn wir haben die Lizenz, Unix zu benutzen. Das bringt uns in eine gute Position. Jeder Kunde, der sich um die Haftungsfragen sorgt, muss Linux bei uns kaufen.

Linux-Magazin: Linux ist ein Open-Source-Projekt, jede Firma kann eine Linux-Strategie aufbauen, ohne gleich einen Distributor zu kaufen. Warum hat es Novell trotzdem getan?

Jack Messman: Linux kann nicht besonders schnell wachsen, wenn die Industrie von zwei sehr kleinen Startups abhängig ist, nämlich Suse und Red Hat. Große Unternehmen wollen jemanden mit Glaubwürdigkeit. Wir sind seit 20 Jahren im Geschäft mit Betriebssystemen und wissen, wie es geht. Von uns kann Support kommen, den Red Hat und Suse nicht liefern können. Gleichzeitig gerieten wir aber in eine Wettbewerbssituation mit Suse und Red Hat beim Verkauf unserer Services.

Zusätzlich wurde es immer schwerer, mit Red Hat zurechtzukommen. Sie wollen, dass man ihrem Weg folgt. Es gab im Vorfeld Gespräche mit führenden Hardware- und Softwarehestellern, um im Rahmen eines Konsortiums eine neue Distribution zu bauen. Die Industrie lehnte das aber ab. Sie will zwei große Distributionen. Nicht eine, damit kein neues Microsoft entsteht, und nicht drei, weil der Portierungsaufwand zu groß wird. Ein weiterer Faktor war: Wir verloren den Erstverkauf, da wir kein Betriebssystem hatten, das wir dem Kunden zuerst verkaufen konnten, um dann den Gewinn mit Folgeverkäufen zu erzielen.

Das heißt, obwohl Suse eine 35-Millionen-Dollar-Firma war und wir 210 Millionen bezahlten, ging unsere Marktkapitalisierung um drei Milliarden Dollar hoch, der Markt stimmte also unserer Strategie zu. Jetzt ist es an uns, den Beweis zu liefern, dass sie funktioniert.

CEO Jack Messman sieht Novell nach dem Suse-Kauf in einer einzigartigen Position.