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Die monatliche GNU-KolumneBrave GNU WorldGeorg C.F. Greve |
Willkommen zu einer neuen Ausgabe der Brave GNU World. Diesen Monat wieder mit etwas mehr Projekten und etwas weniger Politik und Philosophie, obwohl auch diese nicht zu kurz kommen dürfen und sollen. Doch dazu mehr am Ende des Artikels.
Loading Linux[1] ist eine GNU/Linux-Distribution für den Client- und Server-orientierten Betrieb kleiner Netzwerke ohne professionellen Administrator. Clients und Server funktionieren bei dieser Distribution direkt nach der Installation ohne weitere Konfiguration. Es ist also auch ohne Wissen um Netzwerk- und Systemadministration möglich, die Distribution einzusetzen. So muss beispielsweise ein Lehrer in der Schule nicht wissen, wie er einen NFS-Server genau konfiguriert, sondern lediglich, dass alle Dateien, die per NFS auf den Clients landen, vom Server dorthin exportiert werden.
Die Idee zu diesem Projekt hatte Thierry Wonner, der es Ende 2002 einigen Studenten der Epitech[2], einer Informatik-Hochschule im Pariser Süden, vorstellte. Das führte dazu, dass sich einige Studenten dem Projekt anschlossen, und so begann 2003 die Arbeit. Gegen Ende des Jahres war die erste Release als bootfähige CD-ROM fertig.
Die Distribution baut auf Standardkomponenten auf: Perl, C, Shell-Skripte für die Installationsroutinen und PHP für Web-Administrationswerkzeuge. NIS, NFS und Samba sind funktional vorkonfiguriert, ebenso wie Open Office, die Filemanager und andere Programme. Als Paketmanager nutzt die Distribution RPM, ein weit verbreitetes System mit einer großen Anzahl an verfügbaren Paketen. Viel Wert legen die Beteiligten auch auf die Unabhängigkeit und Kontinuität des Projekts. Für sie ist die Tatsache, dass es sich um ein nicht-kommerzielles Hochschulprojekt handelt, ebenso ein Garant für Freiheit wie die Verwendung der GNU General Public License (GPL).
Um dafür zu sorgen, dass das Projekt auch nach ihrem Studienabschluss weitergeführt wird, suchen die Maintainer gegenwärtig gezielt nach Zuwachs für ihr Team, und zwar sowohl unter den jüngeren Studenten als auch außerhalb ihrer Schule. Pläne für die weitere Entwicklung gibt es genug. Zum Beispiel würde es Einsteiger weniger abschrecken, wenn Loading Linux statt der einfachen Ascii-Fenster eine grafische Installationsroutine hätte.
Das Web-Administrationstool bedarf ebenfalls weiterer Arbeit und auch an der grafischen Installation zusätzlicher Pakete bastelt zurzeit eine Gruppe von Studenten. Für dieses wie für alle freien Projekte ist es außerdem sehr wichtig, dass Anwender, die ihre Software produktiv einsetzen, Feedback liefern.
Ist ein Netzwerk installiert und will der Admin Abläufe per Hand anpassen, ist es oft notwendig, dies auf allen Clients durchzuführen. Um die Arbeit zu erleichtern, gibt es Werkzeuge wie ClusterSSH[3] von Duncan Ferguson, das SSH-Konsolen zusammenfasst. Dabei bündelt es beliebig viele Rechner zu einer Gruppe, einem Cluster. Der Administrator führt über ein Terminalfenster an seinem Arbeitsplatz die Schritte auf allen Rechnern parallel aus. Über einzeln (de)aktivierbare Terminalfenster überträgt ClusterSSH alle Eingaben per SSH simultan auf die aktiven Rechner.
Geschrieben ist ClusterSSH in Perl und Tk. Daher dürfte es für Administratoren, der klassischen Zielgruppe dieses Projekts, recht problemlos einzusetzen sein. Als Lizenz setzt ClusterSSH die GPL ein. Ein vergleichbares nicht freies Werkzeug mit ähnlicher Funktionalität ist WCluster von Sun, das aber auf Klartext statt auf SSH setzt. Sun hat nach Informationen von Duncan auch nicht die Absicht, das zu ändern.
ClusterSSH läuft nachweislich auf Sun Solaris (x86 und Sparc) sowie Red Hat und Debian GNU/Linux. Duncan will in Zukunft noch mehr Plattformen unterstützen. Gerade dabei bittet er um Hilfe, da er selbst nur auf die bereits erwähnten Architekturen Zugriff hat.
Das Thema Ambient Computing nimmt bereits seit einigen Jahren eine zentrale Stellung in den Zukunftsperspektiven der IT-Forscher ein. Der Begriff bezeichnet die Verschmelzung von Computern mit der Umgebung des Menschen. Die Protagonisten dieses Ansatzes träumen davon, einen Text, den sie eben noch unterwegs am Laptop bearbeitet haben, zu Hause angekommen auf dem großen Bildschirm im Wohnzimmer weiterbearbeiten zu können. Und sollte dann das IP-Bildtelefon klingeln, wird der Text verkleinert und der Gesprächspartner rückt in den Vordergrund, um nach Beendigung des Gesprächs ebenso magisch wieder zu verschwinden.
Wie von Professor Weizenbaum, dem Autor des Eliza-Programms und weltweit hoch angesehenen Kritiker des unreflektierten Computereinsatzes[4], seit Jahren vorhergesagt, macht dabei gerade ihre Omnipräsenz die Informationstechnologie unsichtbar. Sie so unsichtbar und alles umgebend wie die Atemluft zu machen ist in der Tat das Ziel der Befürworter von Ambient Computing, weshalb ein Projekt des MIT zu diesem Thema auch den bezeichnenden Namen Oxygen trägt[5].
Das Home-Automation-Projekt Mister House[6] von Bruce Winter implementiert die Idee des Ambient Computing als freie Software unter der GPL in Form eines intelligenten Hauses. Bruce wohnt mit seiner Familie in einem "passive solar, Earth bermed House". Die Gebäude stammen aus den 70er und frühen 80er Jahren und gehören zur Kategorie der unterirdischen Häuser, liegen aber im Gegensatz zu den "chambered" Häusern nicht vollständig unterirdisch.
Die Seitenwände sind von einer künstlichen Böschung (Berm) umgeben. Die Erde, die das Haus einhüllt, hält das Innere im Sommer angenehm kühl und verhindert im Winter ein zu schnelles Abkühlen. Ohne aktive Heizung kann es an kalten Wintertagen allerdings doch recht kühl werden.
Die ursprüngliche Motivation für die Arbeit an Mister House war, dass Bruce die Vorhänge an den Fenstern automatisch steuern wollte. Die erste Version veröffentlichte er 1998, mittlerweile gibt es eine aktive Entwickler- und Nutzergemeinschaft. Auf der Mailingliste sind über 600 Leute mehr oder weniger aktiv und etwa 250 Programmierer haben Quellcode und Bugfixes beigesteuert. Ein Update der Software gibt es ungefähr einmal im Monat.
Das Design von Mister House ist modular und erlaubt es, nahezu beliebige Ein- und Ausgabegeräte anzuschließen. Die Eingabe ist Event-orientiert, Events werden durch die Uhrzeit, Daten in Files, Sockets, die serielle Schnittstelle oder sogar Stimmenerkennungs-Software generiert. Die Ausgabeseite erlaubt Ausgaben in Files und Sockets, über die serielle Schnittstelle sowie als Text to Speech (TTS). Das Anwendungsgebiet der Software ist groß: Steuerung von Klimaanlagen (Heizung, Lüftung, Kühlung) und Sicherheitssystemen oder die Ankündigung eingehender E-Mails. Da der Einsatz von Mister House geeignete Hardware in der eigenen Wohnung voraussetzt, ist das Projekt eher für technisch versierte Anwender geeignet.
Bei der Familie Winter[7] steuert Mister House Licht, Heizung, Lüftung und Vorhänge. Das Programm überwacht per Kamera die Einfahrt, warnt, wenn die Haustür abends noch offen steht, sorgt für den aktuellen Wetterbericht sowie Erdbebenwarnungen und stellt Musik, Mail, News, aktuelle Comics und das Fernsehprogramm mit Verbindung zum Videorekorder zur Verfügung. Außerdem hält es die Familie mit kurzweiligen Zitaten aus dem Internet bei Laune. Per Automatic Position Reporting System (APRS)[8] ist sogar die Position der Familienfahrzeuge zu ermitteln.
Alle Funktionen steuern die Anwender per Computer, Tablett-PC, X10-Fernsteuerung und sogar über das Internet (siehe Abbildung 3). Bei vielen Lesern dürfte dieses System widersprüchliche Gefühle hervorrufen. Tüftler und Geeks sind sicherlich begeistert von der Technik, die hinter einem solchen Projekt steckt. Doch eine Familie zu finden, die ein solches Unterfangen mitträgt und sich auch von den Macken einer Entwicklerversion nicht abschrecken lässt, ist wahrscheinlich nicht einfach.
Anderen dürfte eher der recht sorglose Umgang mit personenbezogenen Daten und der Privatsphäre zu denken geben - wobei dies in den USA generell weniger thematisiert zu werden scheint. So hatte auch der Autor der APRS-Infoseite kein Problem damit, sein Bewegungsprofil der letzten 1000 Stunden als Grafik ins Netz zu stellen.
Da Mister House sowohl auf GNU/Linux wie auch Microsoft Windows läuft, ist es erstaunlich, dass der ans Internet angeschlossene Server ausgerechnet unter Windows zu laufen scheint, was Spaßvögel zu im wahrsten Sinne des Wortes schlafraubenden Spielchen animieren könnte. Doch da Mister House als freie Software auf einer freien Plattform lauffähig ist, entscheidet jeder Nutzer selbst, ob und wie weit er seine Privatsphäre aufgeben will.
Bei proprietären Plattformen kommen schon größere Bedenken auf, nicht zuletzt weil es per Digital Millennium Copyright Act (DMCA) und European Copyright Directive (EUCD) unter Strafe steht, diese Plattformen näher zu untersuchen. Zudem sollen derartige Anstrengungen bald auch mit Trusted Computing (TC, besser Treacherous Computing) technisch unterbunden werden. Dann haben Anwender keine Kontrolle mehr darüber, welche persönlichen Daten wem und in welchem Umfang zur Verfügung stehen.
Da zunehmend Kameras unsere öffentlichen Räume durchdringen und die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben unter Verzicht auf digitale Technologien immer weniger möglich ist, bietet die Generalverweigerung gegenüber diesen Entwicklungen leider keinen Ausweg. Insofern erlaubt Mister House als freie Software es jedem Menschen, selber die volle Kontrolle über den hochsensiblen Bereich der eigenen vier Wände zu übernehmen - was es neben dem technisch-spielerischen Reiz ungeachtet aller Bedenken zu einem sehr interessanten Projekt macht.
Dass sich das so genannte geistige Eigentum nicht nur auf Software beschränkt, sondern auch auf andere Branchen, ist weitgehend bekannt. Das beweisen die Biopatente. Auf dem Weltgipfel zur Informationsgesellschaft[9] fanden dazu Diskussionen mit Bevölkerungsgruppen statt, die sonst nur wenig Gehör in der Welt finden. So auch mit den Vertretern der indigenen Völker. Als indigene Völker gelten nach der Definition der UNESCO[10] solche Gemeinschaften, die in Kontinuität zu den vorkolonialen und vorinvasorischen Ureinwohnern einer Region stehen und sich insbesondere selbst als unterschiedlich zu den in diesen Regionen vorherrschenden Gesellschaften sehen.
Da indigene Völker nicht-dominante Bereiche der Gesellschaft darstellen und zumeist über sehr wenig formalen politischen Einfluss sowohl auf lokaler als auch globaler Ebene verfügen, gehören sie oft zu jenen, die sich am wenigsten gegen die Begleitphänomene der Globalisierung wehren können.
Bei den Biopatenten haben einige Pharmafirmen zum Sturm auf die traditionellen Arzneien geblasen, um sie in großem Stil global zu vermarkten. Die Konzerne machen dabei den indigenen Völkern die Nutzung ihrer traditionellen Ressourcen unmöglich, entweder über ihre globale Marktmacht oder mit juristischen Auseinandersetzungen.
Bekanntes Beispiel dafür ist das Basmati-Patent der US-Firma Rice Tec, der im September 1997 ein Patent auf Basmati-Reis zugesprochen wurde. Bei der darauf folgenden juristischen Auseinandersetzung ging es darum, wer das Recht haben solle, den traditionellen indischen Basmati-Reis anzubauen. Auch wenn die Auseinandersetzung in dieser Frage zugunsten Indiens ausging, zeigt sie doch die Mechanismen.
Das Phänomen bezeichnen Gegner oft als Biopiraterie, obwohl beispielsweise Richard Stallman in einem seiner Artikel sehr gut darlegt, warum Bioprivatisierung ein passenderer Begriff wäre[11]. Unabhängig von ihrer Bezeichnung lassen diese Vorgänge große Probleme erkennen. Es ist höchste Zeit, sie genauer zu untersuchen.
Die Forderung der indigenen Völker und ihrer Fürsprecher in diesem Zusammenhang ist meist, die "vollständige Kontrolle" und den "vollständigen Besitz" aller ihrer "kulturellen, intellektuellen und so genannten natürlichen Ressourcen" zugesprochen zu bekommen. Das klingt zunächst nachvollziehbar, einleuchtend und gerecht.
Tatsächlich steht aber aus mehreren Gründen zu befürchten, dass ihre Erfüllung das Problem weiter verschärft. Denn die meisten Formen von begrenzten geistigen Monopolen (siehe[12]), etwa der Patente und Copyrights, sind stark auf eine einzelne Person als Besitzer ausgerichtet. Es wird also eine neue Art des geistigen Eigentums gefordert, bei dem ein Volk das alleinige Recht auf bestimmte kulturelle und intellektuelle Vorgänge beanspruchen kann.
Nimmt man die Forderung wörtlich, so ergibt sich - überspitzt -, dass nur Bayern Bier nach dem Reinheitsgebot brauen, nur Finnen Saunen bauen und nur Sizilianer Pizza backen dürfen. Unabhängig davon, dass dies die Legitimation dafür schafft, anderen das Wissen dieser Länder vorzuenthalten, ist zu bezweifeln, ob eine solche gesellschaftliche Monopolisierung im Interesse irgendeiner Gesellschaft ist.
Dabei manifestiert sich das Problem immer dann, wenn juristische Vorstöße gemacht werden, die versuchen den indigenen Völkern die Nutzung traditioneller Ressourcen zu untersagen. Solange sie ihre Ressourcen auf die althergebrachte Weise verwenden können, geht ihnen weder etwas verloren, noch haben sie etwas hinzugewonnen.
Die Ursache des Problems ist die übertriebene Monopolisierung und deren Durchsetzung. Die oben angesprochene Forderung läuft darauf hinaus zu versuchen, ein durch übertriebene Monopolisierung geschaffenes Problem durch noch mehr Monopolisierung zu lösen.
Dabei werden die kulturellen Wurzeln zu einem Handelsgut, das zuerst wegen seines wirtschaftlichen Werts geschätzt wird und für das der Profit maximiert werden sollte. Der kulturelle Wert tritt hinter dem monetären zurück, eine Denkweise, die kommende Generationen mit auf den Weg bekommen. Der Handel mit dieser "Ware" ist aber oft die einzige Möglichkeit, überhaupt an Nahrung, Wasser, Bildung und medizinische Versorgung zu kommen. Die Chance, faire Konditionen in einem Vertrag zu erhalten, hängt jedoch ganz wesentlich von der Freiheit ab, einen Vertrag nicht schließen zu müssen.
Es steht also zu befürchten, dass die indigenen Völker zum Teil im wahrsten Sinne des Wortes um ihr Leben handeln müssen. Wer sich näher zu diesem Thema informieren will, findet unter[13] einen Diskussionsbeitrag, den der Autor dieser Kolumne verfasst hat.
So, damit genug der Brave GNU World für diesen Monat. Wie üblich soll die Ausgabe jedoch nicht enden, ohne vorher eindringlich um Fragen, Anregungen, Kommentare und interessante Projektvorstellungen per E-Mail an die übliche Adresse[14] zu bitten. Bis zum nächsten Mal. (mwe)
Infos |
[1] Loading Linux: [http://loading-linux.sf.net] [2] Epitech: [http://www.epitech.net] [3] ClusterSSH: [http://clusterssh.sourceforge.net] [4] MIT LCS pages, Prof. Weizenbaum: [http://www.lcs.mit.edu/people/bioprint.php3?PeopleID=480] [5] Projekt Oxygen: [http://oxygen.lcs.mit.edu/Overview.html] [6] Mister House: [http://misterhouse.net] [7] Das Haus der Familie Winter: [http://misterhouse.net:8080] [8] Automatic Position Reporting System: [http://www.aprs.net/] [9] FSF Europe WSIS: [http://www.germany.fsfeurope.org/projects/wsis/] [10] UNESCO, Indigenous Peoples: [http://portal.unesco.org/culture/admin/ev.php?URL_ID=2946&URL_DO=DO_TOPIC&URL _SECTION=201] [11] Richard Stallman, "Biopiracy or Bioprivateering?": [http://www.stallman.org/articles/biopiracy.html] [12] Georg C.F. Greve, "Brave GNU World": Linux-Magazin 01/04, S. 78 [13] Georg Greve, "On ,Intellectual Property' and Indigenous Peoples": [http://www.germany.fsfeurope.org/documents/iprip.html] [14] Ideen, Anregungen, Kommentare an die Brave GNU World: [mailto:column@brave-gnu-world.org] [15] Homepage von Georgs Brave GNU World: [http://brave-gnu-world.org] |
Der Autor |
Dipl.-Phys. Georg C. F. Greve beschäftigt sich seit etlichen Jahren mit freier Software und kam früh zu GNU/Linux. Nach Mitarbeit im GNU-Projekt und seiner Aktivität als dessen europäischer Sprecher hat er die Free Software Foundation Europe initiiert, deren Präsident er ist. Mehr Informationen finden sich unter: [http://www.gnuhh.org]
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