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Spieglein, Spieglein ...

Jan Kleinert, Chefredakteur

Zeitungen und Zeitschriften verlegen ist eine privatwirtschaftlich betriebene Sache von Angebot und Nachfrage. Redaktionen müssen deshalb ihre Berichterstattung so gestalten, dass ihr Medium an den Kiosken zahlende Leser findet. Das ist weder anrüchig noch der journalistischen Freiheit abträglich. (Von seltenen, bedauerlichen Übertretungen mal abgesehen.)

Die Presse erfüllt zudem bestimmte öffentliche Aufgaben: Sie beschafft und verbreitet Nachrichten, nimmt Stellung und übt Kritik, wirkt an der öffentlichen Meinungsbildung mit und leistet einen Beitrag zur Bildung. Die Landespressegesetze schreiben in Deutschland diese selbstverständlichen Dinge sicherheitshalber noch mal fest.

Die Kombination von öffentlichem Auftrag und wirtschaftlichem Erfolgszwang stellt sicher, dass seriöse Zeitungen und Zeitschriften mehrheitlich über wichtige und interessante Themen berichten. Die Presse ist darum ein verlässlicher gesellschaftlicher Spiegel relevanter Informationen. Auch der Umkehrschluss daraus ist erlaubt: Wenn wegen irgendeiner Sache ein vernehmliches Rauschen durch den Blätterwald geht, ist das Ereignis hinreichend relevant.

Mein letzter Kioskbesuch fiel in dieser Hinsicht bemerkenswert aus. Neben dem mir bestens bekannten Portfolio aus Linux-Magazin, LinuxUser und EasyLinux sowie einigen anderen nativen Linux-Publikationen watschelten Anfang Februar ganze Tux-Kolonien durch fachfremde Regale meines Kioskbesitzers. "Computerbild", verkaufte Auflage bis zu einer Millionen Stück, titelt: "Wollen Sie ... kaum Virenangriffe? ... Microsofts Überwachung verhindern? ... Dann brauchen Sie als zweites Betriebsprogramm Linux." Eine Suse-CD klebt auch im Heft und für die nächsten elf Ausgaben kündigen die Hamburger gleich eine Artikelserie an. Das beweist: Jetzt ist Linux reif für die Masse der End-User.

Ein paar Regalmeter weiter die Wirtschaftspresse. Hier findet unser Betriebssystem normalerweise nur kurz Erwähnung, meist im Zusammenhang mit der Umsatzentwicklung von IBM oder Microsoft. Anders war diesmal der Widerhall in der "Wirtschaftswoche". Ein fünfseitiger monothematischer Artikel ("Liaison mit Pinguin") dröselt die SCO-Anwürfe auf und zieht deren Erfolgsaussicht deutlich in Zweifel. Eine ganze Seite nimmt ein Interview mit Linus Torvalds ein. (Auf dem abgedruckten Bild ähnelt er Jürgen Trittin in jungen Jahren.) Linus' Kernsatz: "Ich finde es jedenfalls ziemlich verwirrend - und persönlich verletzend -, wenn SCO sogar Urheberrechte am Programmcode geltend machen will, den ich selbst geschrieben habe."

Wenn die des Unterhaltungsjournalismus unverdächtige Wirtschaftswoche jetzt dem Thema viel Platz einräumt, ist klar, dass Linux endgültig ins Bewusstsein der IT-Industrie als umsatzrelevante und richtungweisende Größe eingedrungen ist. Meine Momentaufnahme von Open Source im Spiegel der Publikumspresse ist mehr als die Summe der einzelnen Artikel. Zeitungen und Zeitschriften schaffen keine Trends, sondern greifen sie nur auf. Linux ist einer.