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Gastkommentar: Microsoft sichert deutsche Arbeitsplätze

Jobmotor oder Windmaschine

Harald Milz

Ist Microsoft wirklich der Jobmotor Deutschlands oder pustet die Uni Münster nur Luft durch die norddeutsche Tiefebene? Die ganz persönliche Meinung eines Langzeitbewohners der Linux-Welt.

Mir kam in den vergangenen zehn Jahren nicht nur einmal der Gedanke, dass Windows letztlich grenzenloser Schrott sein muss, wenn eine ganze Branche von PC-Zeitschriften jahrelang davon leben kann, mit bemerkenswerten Auflagen Tipps und Tricks (a.k.a. Workarounds) dazu zu veröffentlichen. Diese Meinung wird mir nun von einem wissenschaftlichen Institut - noch dazu im Auftrag von Microsoft selbst - bestätigt. Denn schließlich sind auch das alles Arbeitsplätze, die zumindest mittelbar von Microsoft abhängen.

Man muss dazu wissen, dass ich mich 1992 nach etwa drei Jahren als freier Autor bei einer größeren deutschen Computerzeitschrift beworben hatte und auch eingestellt wurde. Zwei Wochen später rief der Chefredakteur an und bat mich darüber nachzudenken, doch zur kleineren Schwesterzeitschrift zu gehen. Dort bekam ich dann die Gelegenheit, mich intensiv in das Thema Linux hineinzuknien. Aber man wird natürlich schon nachdenklich, wenn man nur bei dem kleinen Schwesterlein der großen Zeitschrift arbeitet, die damals schon die acht- bis zehnfache Auflage damit machte, den Lesern die Innereien von Microsoft-Produkten zu erklären. Und dann waren da ja auch noch "Chip", "PC Professional" und all die anderen verwechselbaren Blätter aus der Ecke Ziff Davis & Co.

Zwanghafter Windows-Einsatz

Lange Rede, kurzer Sinn: Was dieses Münsteraner Institut [http://mice.uni-muenster.de/] herausgefunden hat, ist zumindest teilweise mit den technischen Unzulänglichkeiten vergangener Windows-Generationen zu begründen - und mit der hohen Durchdringung im Home-Bereich. Das betrifft ebenso Schulungen wie mittelbar die Beratung.

Der hohe Bedarf an Beratung ist zudem in erster Linie mit dem Umstand zu begründen, dass es Microsoft - geschickt im Marketing, wie sie nun mal sind - geschafft hat, Windows als De-facto-Standard im OEM-Umfeld zu etablieren. Daraus ergab sich eine fast hundertprozentige Abdeckung (die Marketiers sagen dazu viel eleganter Coverage) im Home-Bereich und in der Folge fast zwanghaft der Einsatz als Desktop-OS in den Büros. Auch die Manager kannten nichts anderes mehr, es war die reinste Fastfood-Welle und die Leute haben verlernt selber zu kochen.

Umgekehrt treffe ich bei Beratungsgesprächen mit Kunden immer wieder Leute, die seit Jahren Linux-Rechner irgendwo in der Firma im Einsatz haben und - überspitzt gesagt - teilweise gar nicht mehr wissen, wo die stehen, aber mit stolz geschwellter Brust sagen: "Den haben wir damals selbst installiert." Ja, wie sollte denn da ein Markt für Dienstleistung und Beratung entstehen? Suse musste diese Brühe ganz bitter auslöffeln, denn da war man (waren wir) 1998/99 viel zu optimistisch, was den Beratungsbedarf anging.

Spart es oder spart es nicht?

Jedem Betriebswirt müssten sich bei der Münsterländer Argumentation die Nackenhaare sträuben, denn wenn der Umsatz der Microsoft-Partner tatsächlich über dem Branchendurchschnitt liegt, heißt das ja nichts anderes, als dass deren Kunden überdurchschnittlich viel ausgeben müssen. Und dann kommt wieder so eine TCO-Studie, die beweist, dass die Windows-Welt ja so wahnsinnig günstig ist. Ja wie denn nun?

Aber auch mit Blick auf die Volkswirtschaft wird's nicht viel logischer. Natürlich bietet Microsofts Geschäftsmodell anderen Unternehmen vielfältige Möglichkeiten der Betätigung. Aber auch die deutsche Steuergesetzgebung zum Beispiel eröffnet einen Beratungsmarkt mit enorm hoher Wertschöpfung. Trotzdem stellt sich niemand in der Öffentlichkeit hin und verlangt noch kompliziertere Steuergesetze, um Arbeitsplätze zu sichern. Auch die Bundesanstalt für Arbeit pflegt ein interessantes Partnermodell im Fortbildungssektor.

Um die Münsteraner Logik vollends auf die Spitze zu treiben, müsste man wohl sogar für zusätzliche Arbeitslose im Dienste der Arbeitsplatzsicherung sorgen. Mit anderen Worten: Sich jetzt hinstellen und aus der Folge, dass ein großer Markt im Windows-Umfeld entstanden ist, eine Ursache zurechtdrechseln - das ist ziemlich platt. Ja okay, eins plus eins ist halt zwei. Ob aber daraus folgt, dass Closed Source auch künftig einen größeren Markt aufbaut als Open Source?

Kann ja sein, aber zu einem Preis, den immer mehr Kunden bereits als nicht mehr akzeptabel betrachten, genauso wie die Abhängigkeit von einem einzelnen Hersteller und seiner Lizenz- und Preispolitik. Gerade bei den öffentlichen Auftraggebern stehen diese Aspekte offen im Vordergrund. Man erinnere sich nur an das recht selbstbewusste Auftreten von Christian Ude gegenüber Steve Ballmer.

Abbildung 1: Das Institut für Computer-Ökonomie der Uni Münster kommt zu dem Schluss, dass Open Source schädlich für die Wirtschaft ist.

Neues Selbstbewusstsein

Außerdem legt Linux gerade im Servicebereich enorm zu, wenn die Dinge komplexer werden. Auf der Tagesordnung stehen jetzt SAP-Migrationen mit über hundert Applikationsservern, riesige Rechencluster vor allem in der Automobilindustrie, hoch verfügbare Datenbanken und so große Migrationsprojekte wie für den Bundestag oder die Stadt München. Da geht es nicht ohne externe Dienstleister, allein schon wegen der erforderlichen Manpower nicht. Willkommen in der realen IT-Welt!

Daher kann ich eine solche Studie nur als den weiteren Versuch einer Lobbyarbeit ansehen, der an Leute gerichtet ist, die sich mit den anstehenden Fragen noch nicht richtig auseinander gesetzt haben. Nächstes Jahr sind noch wieder wie viele Landtagswahlen? Wie sieht doch gleich unser Arbeitsmarkt aus? Laufen nicht gerade wieder diverse Tarifrunden an? Wie viele Dienstleister überlegen sich gerade ihre Positionierung für die nächsten zwei, drei Jahre? Da lohnt sich ein bisschen FUD doch sicherlich, auch wenn sie durchsichtig ist.

Abbildung 2: Ein Auszug aus der Studie der Uni Münster. Arithmetisch stimmt's, die Logik im letzten Absatz ist allerdings ziemlich gewöhnungsbedürftig.

Kunden werden preisempfindlich

Im Umfeld meines derzeitigen Arbeitgebers ist es eher so, dass die Kunden uns die Türen einrennen mit Linux-Projekten und wir die richtigen Leute teilweise nicht aus dem Hut zaubern können. Bei Windows-Projekten ist es etwas ruhiger. Das hat aber auch mit der Preisbildung zu tun. Die Rechenzentrums-Kundschaft weiß eher etwas mit betriebswirtschaftlich deckenden Beraterpreisen anzufangen als der typische Microsoft-Shop, falls es den gibt.

Ob die These "Instabilität als Jobmotor" richtig ist, werden wir sehen. Denn bei allen Produkten der Windows-2000-Familie, XP eingeschlossen, ist die Stabilität im Vergleich zu früheren Produkten erheblich besser geworden. Die Zeit der präventiven wöchentlichen (oder täglichen) Reboots von NT-Servern ist damit Geschichte. Ist dann Microsoft für die wachsende Verelendung der deutschen IT-Landschaft mitverantwortlich oder führen bessere, wartungsärmere Produkte und die Existenz von Alternativen nicht doch zu höherer Produktivität und zu mehr Wachstum? (uwo)

Der Autor

Harald Milz verdient seine Brötchen seit gut einem Jahrzehnt mit Linux-Beratung in verschiedenen Inkarnationen.