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Linux-Migration in Schwäbisch HallEin Jahr danachBernhard Röhring |
Große Projekte beginnen nicht immer mit hehren Konzepten. Manchmal ist schlicht eine Notlage im Spiel, deren Folgen abzuwenden sind. Eine solche Notwendigkeit ergab sich für die Stadt Schwäbisch Hall, als ihr per Gesetzesänderung 2001 von einem Tag auf den nächsten der wichtigste Steuerzahler, die gleichnamige Bausparkasse, abhanden kam. Um die drohenden Konsequenzen abzumildern, schaut eine gute Verwaltung natürlich immer, wo sich sonst noch Kosten einsparen lassen. In dieser Situation kam ein Vorschlag aus der IT-Abteilung ins Spiel.
Horst Bräuner, der umtriebige EDV-Koordinator der Stadtverwaltung, regte an, eine Umstellung der gesamten Softwarebasis auf Open Source mit Linux ins Auge zu fassen. Immerhin gab es im Hause seit langem einschlägige Erfahrungen im Serverbereich. Angefangen hatte alles im Frühjahr 1997, als ein neuer Mann den Bürgermeistersessel bestieg: Hermann-Josef Pelgrim brachte frischen Wind ins alte Gemäuer und äußerte als Erstes gleich einen Wunsch: Zu seinem Geburtstag im Herbst hätte er gern so etwas wie Internet im Haus.
Bräuner, der seit 1992 verschiedene Unixe kannte und schon immer mit Linux geliebäugelt hatte, konnte liefern. Einen Webserver, einen E-Mail-Server, Proxy, DNS, DHCP - alles Dinge, die seinerzeit von Microsoft nur rudimentär verfügbar waren. Diese Serverlösungen laufen seit dieser Zeit immer noch zufrieden stellend auf derselben Hardware. Im Laufe der Jahre kam dieser und jener weitere Dienst hinzu: Fileserver, Printserver, mehrere Datenbanken. So gab es auf der Serverseite kaum Probleme, als Microsoft im Jahre 2001 die Einstellung des Supports für Windows NT 4 ankündigte (inzwischen von Ende 2002 auf Ende 2003 verschoben). Da war der drohende Steuerausfall nur mehr auslösender Faktor.
Nachdem durch Vorarbeiten im eigenen Hause und Gespräche mit der Führungsspitze die grundsätzliche Vorgehensweise geklärt war, schaute man sich nach Partnern für die Realisierung um. Die fanden sich im Oktober 2002 auf der Linux World Expo mit IBM und SuSE. Am 18.11. schließlich, zum zehnten Suse-Geburtstag, verkündete Pelgrim in Nürnberg seine Absicht, die Softwarebasis auf Linux umzustellen.
Bereits drei Tage später begannen die Startverhandlungen. Nach einem Monat stand ein detaillierter Aufgaben- und Zeitplan. Schon Mitte Januar 2003 gingen die Server (Suse Linux Enterprise) in Betrieb. Für alle Mitarbeiter des Hauses wurde ein Schulungskonzept entwickelt und ab März dieses Jahres umgesetzt. Horst Bräuner und seine sechs Mitstreiter (drei Vollzeitkräfte, drei Auszubildende) gerieten in dieser Zeit oft an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit. Was während der Arbeitszeit nicht geschafft wurde, etwa die Gestaltung von Präsentationen und Workshops, füllte einen guten Teil der persönlichen Freizeit aus.
Wie kommt Linux auf den Computer des Bürgermeisters? Man lasse eine Linux-Box auf dem Schreibtisch stehen und den Chef neugierig fragen: "Ist das unser neues Betriebssystem? - Ja. - Und das kann man auf jedem PC verwenden? - Ja. - Dann nehme ich das jetzt mal mit nach Hause. - Bitte schön." So geschehen an einem Freitagabend in Schwäbisch Hall. Am Montag stellte der Bürgermeister den Kasten wieder auf den Tisch: "Also wenn meine Kinder das können, dann können das meine Mitarbeiter auch."
Mittlerweile sitzen Oberbürgermeister Pelgrim und sein Referent bereits seit einigen Monaten an Linux-Arbeitsplätzen, weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter folgen nach und nach. Relativ unproblematisch ist dabei noch die Umstellung der gängigen Büroanwendungen. Mit Open Office gibt es zu den bisher eingesetzten MS-Produkten eine Alternative, die den erforderlichen Funktionsumfang bereitstellt und eine sanfte Migration erlaubt, da sie auch unter Windows verfügbar ist. Tabelle 1 zeigt das Beispiel einer gemischten Software-Umgebung und das jeweilige Windows-Produkt, von dem migriert wird.
Tabelle 1: Migration von Büroanwendungen | |||||
Aufgabe | Ziel-Anwendung | migriert von | Server | ||
Textverarbeitung | Open Office Writer | MS Word | Samba, NFS | ||
Tabellenkalkulation | Open Office Calc | MS Excel | Samba, NFS | ||
Präsentation | Open Office Impress | MS Powerpoint | Samba, NFS | ||
Datenbank | MySQL, PostgreSQL | MS Access | Linux | ||
Browser | Mozilla, Konqueror | MS IE | Samba, NFS | ||
KMail (nur Linux), Sylpheed, Mozilla | MS Exchange Client | MS Exchange, SLOX | |||
Kalender/Groupware | Open Exchange Server (PostgreSQL) | MS Schedule+ | Linux | ||
Bildbearbeitung | Gimp | Corel Draw, Photo Editor | Samba, NFS |
Eine Umfrage, von IBM im Vorfeld der Migration unter den Rathaus-Mitarbeitern durchgeführt, ergab das übliche Bild: Fast alle hatten schon von Linux gehört, aber kaum einer hatte jemals Kontakt mit dem Betriebssystem. Einer allgemeinen Akzeptanz der angestrebten Sparziele stand die übliche Skepsis vor neuen Verfahren gegenüber. Immerhin glaubte die Mehrheit, mit der Einführung von Linux träten Verbesserungen ein, wünschte sich jedoch ausreichend Schulung, Support und umfassende Informationen über das Projekt.
Die Ergebnisse der Umfrage und zahlreiche Vorschläge der städtischen Bediensteten flossen in das Schulungskonzept ein, das letztlich den Erfolg der Umstellung ermöglichte. Eine wesentlich größere Herausforderung als das Umstellen der allgemeinen Büroanwendungen ist die Migration von Spezialsoftware, der so genannten Fachanwendungen. Sie sind das Herzstück der Verwaltungsarbeit, das tägliche Brot der städtischen Angestellten. Ohne diese Spezialsoftware kann kein Pass ausgestellt, kein Buch ausgeliehen, kein Kraftfahrzeug zugelassen werden. Eine Migration kann hier nur nach dem Prinzip "Alles oder nichts" erfolgen.
Hier half der Umstand, dass im Ländle traditionell viele dieser Anwendungen zentralisiert in Rechenzentren gefahren werden. Der Anwender vor Ort greift über x3270-, Citrix- und SAP-Clients oder - im günstigsten Fall - sogar schon Web-basiert darauf zu. All diese Client-Anwendungen gibt es auch unter Linux, sodass hier kaum Umgewöhnungsprobleme entstehen.
Schwieriger ist die Umstellung bei den etwa 80 Fachanwendungen, die lokal betrieben werden, wie dem Bibliothekswesen oder dem Kassensystem im Bürgeramt. Jede einzelne Anwendung braucht hier eine Alternative. Da sind die Lieferanten der Software gefragt, von denen schon Anfang des Jahres mehr als die Hälfte Linux-Lösungen parallel im Angebot oder in Vorbereitung hatte. Die Tendenz ist steigend, sobald sich durch wachsendes Interesse anderer Abnehmer so etwas wie ein Markt andeutet. Die Hoffnungen sind begründet, interessieren sich doch auch andere Kommunen für solche Lösungen.
Letzter Ausweg für die verbleibenden Anwendungen ist Emulationssoftware, sofern eine lupenreine Linux-Umgebung das Ziel ist. Diese Umstellungsprozesse sind es, die die meiste Zeit beanspruchen, und sie werden in Schwäbisch Hall beharrlich Schritt für Schritt betrieben. So die Mitte November erfolgreich vollzogene Umstellung der 20 PC-Arbeitsplätze der städtischen Bibliothek.
Technische Machbarkeit ist das eine, wie Mitarbeiter die Veränderungen wahrnehmen etwas ganz anderes. Als günstig hat sich zunächst erwiesen, dass die Unterschiede in der Bedienung der Büro- und Fachanwendungen so groß gar nicht sind. EDV-Leiter Bräuner berichtet, dass einzelne Mitarbeiter bei Schulungen "nicht einmal bemerkten, dass es sich nicht um Windows handelte". Freilich sind da auch immer welche, die sich prinzipiell gegen Veränderungen sperren und alles, was nicht auf Anhieb klappt, Linux anlasten; aber, so Horst Bräuner optimistisch, "das hätten die bei XP ganz genauso gemacht".
Kleines Trostpflaster mit großem Nutzen: Es ist ausdrücklich erlaubt, Open- Office-CDs mit nach Hause zu nehmen und - ganz legal - privat zu verwenden. Wer daheim seine Briefe mit Writer verfasst, wird auch am Arbeitsplatz besser mit der Software umgehen können. Auch in den Schulungen bleiben Fragen fürs Private nicht außen vor.
Fazit: Schwäbisch Hall ist auf einem guten Weg. Nicht ohne Reibungen, nicht ohne große Kraftanstrengung, jedoch insgesamt erfolgreich. Dies alles unter den aufmerksamen Blicken des Bundesinnenministers. O-Ton Otto Schily: "Wir erhöhen die IT-Sicherheit durch die Vermeidung von Monokulturen; wir verringern die Abhängigkeit von einzelnen Software-Anbietern und wir sparen beim Kauf der Software und bei den laufenden Kosten. Damit sind wir Vorreiter dabei, eine größere Vielfalt in der IT-Landschaft zu schaffen." (uwo)
Der Autor |
Dr. Bernhard Röhrig ist IT-Tainer, Fachjournalist und auch Autor mehrerer Bücher über Linux/Unix. Im Internet ist er unter [http://www.roehrig.com/] zu erreichen.
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